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Kein Kaffee, ein Antrag und hässliche Schilder

Der schöne runde Tisch im Büro von Frau Stückler ist wirklich ein bisschen zu klein für eine Ältestenratssitzung und deshalb fand das Treffen heute im Gertrud-Bäumer-Saal statt. Dieser ist aber leider etwas zu weit von der nächsten Kaffeemaschine entfernt. Schade!

Wie immer wurde die Tagesordnung der nächsten BVV besprochen und es wurden die eingegangenen Großen Anfragen und Anträge kurz durchgesehen und an die diversen Ausschüsse oder direkt in die Sitzung verteilt. Dabei war auch mein Antrag zur Umbenennung der Straße „Am Bahnhof Grunewald“ nach Regina Jonas. Nachdem ich nun schon mal ein bisschen falsch zitiert worden war, herausgefunden hatte, dass die weltweit erste Rabbinerin von den Nazis eben vom Bahnhof Grunewald aus nach Theresienstadt deportiert worden war – ein ziemlich beschämender Bezug zu unserem Bezirk, da ja die Anwohnenden alle paar Tage mitbekommen mussten, was sich in ihrer Umgebung abspielte – und mich die Frau mit jedem Text, den ich inzwischen von ihr oder über sie gelesen hatte, mehr faszinierte, war ich fest überzeugt, dass ein Weg in Offenbach und die Gedenktafel in Mitte für die Würdigung von Regina Jonas keinesfalls ausreichen. Das fanden auch die jüdischen Genoss_innen, mit denen ich darüber sprach und ich hoffe sehr, dass es gelingt, dass die überfällige Ehrung in unserem Bezirk stattfindet. Die Piraten sind dem Antrag gleich beigetreten und nun geht er an die Ausschüsse für Weiterbildung und Kultur, Gender-Mainstreaming und Tiefbau und Grünflächen. Bis zur endgültigen Entscheidung kann es also dauern. Dabei wäre es mir ein Herzenswunsch, dass die jährlichen Gedenkveranstaltungen im Herbst diesmal am bzw. beim Regina-Jonas-Platz stattfänden.

Es wurde ansonsten noch über die letzte BVV, die ja erstmalig wieder im Rathaus Charlottenburg tagte, gesprochen und welche Verbesserungen im und rund um den Saal gewünscht werden. Es ging da um die Sitzordnung, Rauchverbot auf dem Balkon, Toiletten, das Catering usw. schildBei der Gelegenheit musste ich unbedingt meinen Unmut über die Hinweisschilder zu den Büros der Verordneten loswerden. Nicht nur, dass ich es doch sehr gerne hätte, dass meine Partei darauf erwähnt wird; so wie sie beschriftet sind, sehen sie einfach furchtbar aus. DIE LINKE. (fraktionslos) böte ein viel harmonischeres Schriftbild als das, was sich da irgendjemand ausgedacht hat. Bestimmt waren die Schilder teuer, aber spätestens bei der nächsten Beschriftung im Rathaus sollte da unbedingt noch einmal überlegt werden.

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Gedenken an die Pogromnacht vom 9. November 1938

Nicht zum ersten Mal nahmen wir an der traditionellen Gedenkveranstaltung am Gleis 17 beim S-Bahnhof Grunewald teil. Sie wird von Schülerinnen und Schülern des Gottfried-Keller-Gymnasiums und der Landespolizeischule sowie vom Bezirksamt veranstaltet.
Wolfgang und Marlene am Mahnmal am Gleis 17
Ein Schweigemarsch folgt dem letzten Abschnitt des unfreiwilligen Weges zahlreicher Berliner Opfer des Nationalsozialismus, insbesondere Jüdinnen und Juden, zum berüchtigten Gleis 17, von wo aus sie deportiert wurden. Am Mahnmal findet eine Kundgebung statt, bei der diesmal unser neuer Bürgermeister Naumann in seiner Rede hauptsächlich an den im April verstorbenen Zeitzeugen und Mitinitiator der Veranstaltung, Isaac Behar, erinnerte, dessen Eltern und Schwestern von hier aus nach Riga ins Verderben geschickt worden waren.

Es ist immer besonders bewegend, von den Geschichten einzelner Menschen zu erfahren und ich frage mich regelmäßig, wie ich mich unter ähnlichen Umständen verhalten hätte. Einerseits ist da die Vorstellung, wie es gewesen wäre, Opfer zu sein – nach Nazi-Kriterien hätten die Mitglieder meiner Familie jeweils entweder als „Kommunisten“ oder „Zigeuner“ oder „Asoziale“ gegolten. Und ohne diese Stigmata? Im Nachhinein ist es billig, die Überzeugung zu pflegen, man wäre aufmerksam gewesen, hätte sich in jeder Situation menschlich korrekt verhalten oder Widerstand geleistet. Ehrlicherweise können wir nur hoffen, aber keinesfalls garantieren, dass wir jederzeit das Richtige getan hätten.

Gedenkveranstaltungen dieser Art sollten uns auf jeden Fall zu denken geben und zwar nicht nur an die Vergangenheit. Sie sollen uns ständig ermahnen, auch heute ganz genau hinzusehen und hinzuhören, was um uns herum geschieht – und rechtzeitig einzugreifen, wenn sich Menschenverachtung breitmacht und geistige Brandstifter unterwegs sind. Als Bezirksverordnete stehen wir da in besonderer Verantwortung, zu verhindern, dass sich Rechtsextremismus und -populismus in Charlottenburg-Wilmersdorf zu Hause fühlen. Erst sind es, wie in diesem Jahr bereits geschehen, hässliche Aufkleber und Plakate, Geschäfte mit bei Neonazis beliebter Kleidung oder Versammlungen einschlägiger Organisationen.

Stellen wir uns bereits da entschieden dagegen und warten wir nicht bis es, wie vor 73 Jahren, im Bezirk brennt oder Blut fließt!