Straßennamen und Geschlechter (pl.)

Eine erfreulich kurze Tagesordnung mit interessanten Punkten machten es leicht, zum Ausschuss für Gender-Mainstreaming zu gehen, der sich heute wieder im UCW traf. Lag es am Gebäude, dem Unternehmerinnen- und Gründerinnenzentrum, dass diesmal gar keine Männer da waren? Beeilen hätte ich mich jedenfalls nicht brauchen, denn vor uns fand die Sitzung des UCW-Beirats statt, der ein wenig überzog.

Darüber wurde dnn auch gleich berichtet. Der wahrscheinlich bemerkenswerteste Punkt war die Aussage von Herrn Stadtrat Gröhler, dass der Bibliotheksstandort im angrenzenden Gebäudeteil, selbst bei der Einrichtung einer Zentralbibliothek, nicht aufgegeben werden soll. Das ist ein ausgezeichnetes Omen für den Erhalt des UCW auch in Zukunft. Diskutiert wurden dabei auch verschiedene Betreibermodelle, die nun genau geprüft werden sollen.

Dann kam der Antrag „Eine Straße für Regina Jonas“ zur Sprache und weil ohnehin nur gut informierte, interessierte und freundliche Kolleginnen anwesend waren, sprach ich bei der Vorstellung gleich selbst die darin enthaltenen Schwachpunkte mit an. Das sind zum einen die Ausführungsvorschriften zum § 5 des Berliner Straßengesetzes, in denen die Regeln zur Umbenennung von Straßen und die historisch nicht letztendlich geklärte Frage, ob Regina Jonas nun vom Bahnhof Grunewald oder doch vom Anhalter Bahnhof aus deportiert worden ist. In diesem Ausschuss sitzen nämlich in der Hauptsache an der Sache orientierte Menschen, die zwar nicht immer einer Meinung sind, aber so gut wie nie persönliche oder parteipolitische Eitelkeiten in den Vordergrund schieben. Daher begannen in der Folge auch gleich alle, auch die, die die genannten Bedenken ebenfalls hatte, sofort zu überlegen, wie und wo wir am ehesten die fehlenden Informationen einholen könnten und welche Lösungen sich eventuell noch anbieten würden. Ob es vielleicht eine andere geeignete Straße, deren Umbenennung einfacher durchzusetzen wäre, gäbe oder ob lieber das Bezirksamt aufgefordert werden sollte, beim Senat, der weitergehende Befugnisse hat, darauf hinzuwirken, dass dieser die Umbenennung der Straße „Am Bahnhof Grunewald“ vornehmen soll. Am Ende hatten mehrere Verordnete unterschiedliche Aufgaben übernommen und wir werden den Antrag nach der Sommerpause noch einmal behandeln. Inhaltlich sind wohl alle dafür. Ein paar Bedenken gab es noch, dass möglicherweise Friedrichshain-Kreuzberg aktuell ebenfalls an der Sache dran ist. Ich selbst bin da zu sehr Lokalpatriotin und hätte die Straße des so beeindruckenden „Fräulein Rabbiner“ in jedem Fall gerne in unserem Bezirk.

Bei der Planung der nächsten Sitzungen wurde schon einmal kurz der Antrag der Piraten auf Unisex-Toiletten in öffentlichen Gebäuden angesprochen. Dabei zeigte sich, dass sich fast alle Anwesenden noch nie oder kaum mit Themen, die über die traditionelle Zweigeschlechtlichkeit hinausgehen, beschäftigt haben. Sich damit erstmalig zu befassen und später den Aspekt der Mehrgeschlechtlichkeit in die BVV hineinzutragen, ist eine schöne Aufgabe des Gender-Ausschusses, dessen Name geradezu verpflichtet.

Gerade als Carolina Böhm die Sitzung geschlossen hatte, kam Herr Fenske aus dem Rathaus an. Wie beruhigend, dass auch andere Verordnete schon mal Ort und Zeit eines Treffens verplanen.

NB: Die Texte der oben genannten Anträge einschl. Begründung finden sich unten als Kommentare, da später nach erfolgtem Beschluss, die Begründungen auf den Seiten des Bezirks wegfallen -> deshalb kein simpler Link an dieser Stelle.

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Veröffentlicht am 14. Juni 2013 in Ausschüsse und mit , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 2 Kommentare.

  1. Eine Straße für Regina Jonas (DIE LINKE. (fraktionslos) / Piraten)

    Die BVV möge beschließen:

    Das Bezirksamt wird aufgefordert, die Straße „Am Bahnhof Grunewald“, nach der weltweit ersten ordentlich ordinierten Rabbinerin Regina Jonas (1902 – 44) umzubenennen.

    Der BVV ist bis Ende Juni 2013 zu berichten.

    Begründung:

    Für Regina Jonas, deren Zug, mit dem sie am 6. November 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde, gemäß der Beschriftung am Mahnmal Gleis 17, vom Bahnhof Grunewald abfuhr, und die rund zwei Jahre später in Auschwitz ermordet wurde, gibt es bislang in Berlin nur eine Gedenktafel im Bezirk Mitte. Als weltweit erste ordinierte Rabbinerin, die jahrzehntelang in Vergessenheit geraten war, bis ihr schriftlicher Nachlass nach der Wende von US-amerikanischen Wissenschaftlerinnen in Archiven wiederentdeckt wurde, ist sie bislang nicht ausreichend öffentlich gewürdigt worden und hat diese Ehrung verdient.

    Da sie gerade und beschämenderweise von unserem Bezirk aus deportiert wurde, ist genau hier in Charlottenburg-Wilmersdorf der richtige Ort für diese Würdigung. Die Straße Am Bahnhof Grunewald, welche auch zur Gedenkstätte führt, wäre hierzu besonders geeignet:

    – Es handelt sich um eine symbolisch passende Stelle, an der jedes Jahr zahlreiche Besucherinnen und Besucher des Mahnmals vorbeikommen.

    – Der Platz trägt eine nichts sagende Ortsangabe als Namen, welcher seiner Bedeutung als der Stelle, die Zehntausende Berlinerinnen und Berliner als letzte ihrer Heimatstadt sahen, bevor die meisten von ihnen in den Tod transportiert wurden, nicht gerecht wird.

    – Eine von ihnen war Rabbinerin Jonas, die leider bislang international bekannter ist als in der Stadt, in welcher sie geboren wurde, studierte, arbeitete und die sie trotz der, durch den Menschen verachtenden Nationalsozialismus verursachten, unerträglichen Lebensumstände nicht verlassen wollte.

    – Im Zusammenhang mir der Tatsache, dass in Charlottenburg-Wilmersdorf nur rund 4 % aller Straßen und Plätze nach Frauen benannt sind, ist diese Namensänderung des Vorplatzes des S-Bahnhofs außerdem angebracht, wofür sich Regina Jonas, die zu ihrer Zeit, entgegen aller Vorurteile und Widerstände, mit ihrer Ordinierung eine, selbst heute nicht alltägliche, Leistung erbrachte und damit ein Vorbild insbesondere, aber nicht nur, für junge Frauen darstellt, unbedingt anbietet.

    – Im Übrigen hat diese Straße, trotz ihrer besonderen Lage, auch als Endhaltestelle von zwei Buslinien, nur 13 Hausnummern, was den sich ergebenden Aufwand in Grenzen hält – wenngleich dieser Aspekt angesichts der, über Berlin hinausgehenden, Bedeutung von Regina Jonas nicht allzu viel Gewicht haben sollte.

  2. Unisex-Toiletten (Piratenfraktion)

    Die BVV möge beschließen:

    Das Bezirksamt wird beauftragt zu prüfen, in welchen öffentlichen Gebäuden, für die der Bezirk zuständig ist, zusätzlich zu Damen- und Herrentoiletten auch Unisextoiletten eingerichtet werden können. Bei der Prüfung ist zu berücksichtigen, dass mit der Umwidmung mindestens einer bereits vorhandenen geschlechtergetrennten Toilette pro geeignetem Gebäude in eine Unisextoilette eine sehr kostengünstige Umsetzungsmöglichkeit besteht. Bei der Auswahl der umzuwidmenden Toilette ist die Anzahl der vorhandenen Männer- bzw. Frauentoiletten zu betrachten, so dass nach Umwidmung die vielerorts bestehende Ungleichheit der Anzahl der Toiletten für Männer und für Frauen nicht zusätzlich vergrößert wird.

    Das Bezirksamt wird beauftragt, Unisextoiletten in solchen Gebäuden einzurichten, bei denen die Prüfung eine Umsetzungsmöglichkeit ergeben hat.

    Der BVV ist bis zum 1. September 2013.

    Begründung:

    Existieren nur nach Männern und Frauen getrennte Toiletten, so benachteiligt dies Menschen, die sich (1) entweder keinem dieser beiden Geschlechter zuordnen können oder wollen oder aber (2) einem Geschlecht, das sichtbar nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht.

    Obwohl Toiletten auf den ersten Blick nicht nach dem Gegenstand eines drängenden politischen Problems aussehen, haben sie eine große Bedeutung für den Alltag der Betroffenen. In seiner Stellungnahme zu (1) Intersexualität nennt der Deutsche Ethikrat die geforderte „tägliche Entscheidung zwischen den Geschlechtern (zum Beispiel auf öffentlichen Toiletten)“ als eine der von Intersexuellen meistgenannten Hürden in ihrem Alltag. (S.83)

    Transsexuelle (2), deren Geschlecht sichtbar nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht, müssen sich bei jedem Gang zur Toilette entweder dem Geschlecht ihres Körpers zuordnen oder sich dem Risiko aussetzen, auf der anderen Toilette als fremder Eindringling wahrgenommen und konfrontiert zu werden.

    Unisextoiletten dagegen erfordern keine Selbstkategorisierung in das binäre Geschlechtersystem. Das kann selbst für Menschen, die sich prinzipiell zuordnen können, dazu aber nicht ständig angehalten werden möchten, angenehm sein. Sie regen außerdem dazu an, über Geschlechtertrennungen im Alltag nachzudenken.

    Der Antrag sieht vor, dass nach wie vor eine ausreichende Anzahl binär-geschlechtergetrennter Toiletten existiert. Somit ist niemand gezwungen, eine Unisextoilette zu benutzen, wenn er oder sie sich damit unwohl fühlt. Die Wahlmöglichkeiten werden hingegen erweitert. Auch die Arbeitsstätten-Richtlinie und die Arbeitsstätten-Verordnung können daher eingehalten werden.

    Die Umwidmung existierender Toiletten zu Unisexoiletten ist nahezu kostenneutral, da bloß die Beschilderung ausgetauscht werden muss. Sie ist damit trotz der angespannten Haushaltslage leicht realisierbar. Nicht zuletzt unterstreichen Unisextoiletten das Image Charlottenburg-Wilmersdorfs als einem geschlechterpolitisch progressivem Bezirk.

    Quellen: Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zu Intersexualität: http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-intersexualitaet.pdf

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